5 · Neues Spielzeug: Bio-Link & Viadukt
Azur kam tropfnass ins Atelier zurückgepatscht. Mantel, Pullover und Hose warf er wieder über die Staffelei unter dem glühenden Heizpilz.
»Wie siehst du denn aus? Bist du 'ne Runde geschwommen?«
»Wir sollten uns wirklich beeilen«, antwortete Azur. »Hast du irgendwo trockene Klamotten? – Wie weit bist du?«
»Hast du mir was mitgebracht, das da zufällig reinpasst?« Andro legte das Schweißgerät beiseite, schob sich die dunkle Brille auf die Stirn und deutete in die rechteckige Vertiefung des noch glühenden, kleinen Metallgehäuses.
»Nicht zufällig, Bruderherz.« Er überreichte Andro das Modul. »Das hier ist die K.I. aus dem Teil, mit dem wir abgestürzt sind. Bau's ein! – Klamotten?«
»Ja, dahinten im Klamottenknast. Such dir was aus.« Er deutete auf den umfunktionierten Einkaufswagen und widmete sich dann der Zusammenfügung der letzten beiden Teile. » ›Fernbedienung‹ und ›Pegasus‹, war's nicht so? Hätten wir das also schon mal geklärt.« Dann setzte er das Schweißgerät wieder an.
Azur, der sich mittlerweile aus dem Sammelsurium der erstaunlich modischen und von Brandflecken verschonten Kleidungsstücke etwas Passendes herauswühlte, sah im Augenwinkel nach Serva, die immer noch nicht wieder erwacht war. Im Schlaf hatte sie nach der Pfote des Hundes gegriffen, die dieser sich geduldig von ihr umklammern ließ. Krume hatte es sich zusammengerollt auf der Brust des Flammenkindes gemütlich gemacht und döste katzentypisch mit halb geschlossenen Augen vor sich hin – nicht ohne Azurs Bewegungen dabei zu belauschen. Nachdem dieser sich rasch dafür entschieden hatte, in eine schwarze Hose und ein weißes Polohemd zu schlüpfen, hielt er kurz inne und flüsterte den Namen »Hrafnáss«.
Ein Lächeln der Erkenntnis, als ihn die seltsame Raben-Bär-Piloten-wer-wusste-was-sonst-noch-Katze nun mit schief gelegtem Kopf und gerecktem Hals aus einem großen Auge ansah. Das andere Auge war wohl nicht mehr zu retten und blieb für immer hinter einer rosa Narbe verschlossen. »Danke, Co-Pilot. Du hast uns den Arsch gerettet. Ich weiß noch nicht genau, was du bist, aber zumindest wer.« Er zwinkerte dem Kater zu, der die Geste zu erwidern schien. »Hast du zurückgezwinkert oder geblinzelt ...? Bei einem Einäugigen sind diese Gesten nur schwer auseinanderzuhalten«, ging ihm durch den Kopf. »Entschuldige den Galgenhumor«, sprach er laut. Vielleicht konnte Krume ja auch Gedanken lesen. Ihm erschien kaum noch etwas unmöglich.
»Kiro? Fertig. Das solltest du dir unbedingt ansehen!«
Fünf Sekunden später bewunderte Azur die Arbeit seines Bruders.
»Man sieht gar keine Schweißnaht. Du bist echt ein Talent.«
»Ähm, danke, aber ... kein Talent. Magie oder so. Schau dir mal unser Boden-Stargate an!«
Azur erkannte, was Andro meinte. Das Konstrukt hatte seine Konturen anscheinend geglättet – sich selbst fertiggestellt. Jetzt sah der schwarze Ring aus, wie in einem Stück gegossen. Schwarzes Metall, dessen Oberfläche schimmernd bunt angelaufen war. Als hätte man einen Regenbogen erst verchromt und dann matt-schwarz lackiert. Dasselbe war mit der komplettierten Fernbedienung passiert. »Ein gutes Zeichen ... denke ich.«
»Denke ich auch. Und was ist jetzt mit: ›Strom‹ und ›Waffe‹?«
»Waffe, bekomme ich hin. Willst du mal was Abgefahrenes sehen?«
Azur erschuf den blauen Dolch.
»Ich hab es Zeit-Katana-Fragment oder Stella-Umbra-Injektor getauft.
Ist beliebig kombinierbar, glaube ich. Hab noch nicht viel Übung, aber ich denke, das ist das vorletzte Puzzlestück. Er lässt die Zeit irgendwie schneller fließen. Keine Ahnung.«
Sofort deutete Andro auf die Seite des kleinen Kunstwerks. »Guck mal.«
Azur war nicht verwundert, jetzt das Symbol der Sanduhr darauf wiederzufinden. Ohne zu zögern rammte er den Dolch in das Objekt.
Die Klinge verschwand; verschmolz im Handumdrehen mit dem Metall und das rückverwandelte Portalregister fiel daneben zu Boden.
Das Objekt Neunundvierzig veränderte erneut seine Oberfläche.
In blau glühendem Schwarz verforme es sich zu einer armdicken, kurzen Röhre, an deren Ende eine fingerlange, filigrane Kette befestigt war, die diese mit einem einzelnen schwarzen Siegelring verband. Das Blauschimmern verschwand wieder.
»Yeah! Sowas coolistisches hab ich noch nie gebaut.« Ahnungslos tippte Andro mit dem Zeigefinger auf dem Ding herum. »Fühlt sich wie Leder an. Weiches Metall? Irre!«
Azur nahm es in die Hand. Sein Gesichtsausdruck mimte erneut das Erkenntnislächeln. »Ich zeig dir jetzt, was das ist.« Er schlüpfte mit der linken Hand hindurch. Das breite Armband legte sich unter erneutem Aufflimmern augenblicklich eng um sein Handgelenk. Den Mittelfinger steckte er durch den kleinen Ring und auch dieser passte sich seinem Träger sofort an. Die Kette, die die beiden Teile verband, behielt ihr Leuchten allerdings bei. Dann geschah etwas, was der Schlichter nicht unvorhergesehen vorhergesehen hatte. Aus den Kettengliedern wuchsen unzählige dunkle Fädchen hervor. Wie lebendige Katheter schlängelten sie sich um seinen Arm und stachen in die langen Narben seines Unterarms. Als würden sie sich mit seinem Herzschlag synchronisieren, drangen sie pulsierend immer tiefer in seine Adern. »Fuck, das tut weh! Es ist in mir drin. Scheiße!« Unter einem schmerzhaften Ziehen spürte Azur, wie sich die Struktur durch seine Blutbahnen grub und sich in immer kleinere Geflechte verzweigte, bis hinein in seine Gedanken. Unter den höllischsten Kopfschmerzen, dessen Opfer er jemals wurde, verkrampfte sich sein gesamter Körper. Dann war der Spuk mit einem Male vorbei, die Schmerzen weg, das Glühen auch. Als wäre nie etwas gewesen, blickte er seinem Bruder in die Augen. »Krasser Scheiß, was?« Andro nickte nur. »Und jetzt ...« Erwartungsfroh streckte er den vernetzten Arm dem Tor entgegen.
Ein Zucken durchfuhr Azurs Mittelfinger und das Metall des Portals begann schwach zu vibrieren. Am gegenüberliegenden Ende begann ein kleines, gelbes Licht zu blinken. »Strom«, sprach Andro geistesabwesend. Dann etwas enthusiastischer: »Jetzt brauchen wir nur noch Strom!« Er klemmte im Handumdrehen den Schweiß-Trafo ab und stand dann mit dem Kabel in der Hand etwas ratlos da. »Ähm, ich fürchte, dass ich keinen multidimensionalen Ladekabel-Adapter da habe.«
Azur verdrehte die Augen – wenig belustigt. Aber Andro kniete bereits vor dem gelben Licht und stocherte mit dem Kabelende wild darauf herum. »Es muss doch irgendwie ...« Dann,als würde das Tor genervt die Geduld verlieren, verflüssigte sich ein Teil desMetalls, umfloss das Kabel und saugte es geradezu in sich auf, bevor es zufriedenwieder erstarrte. »Ha!«, tönte Andro stolz und starrte seinen Bruder wie ein lebendiges Emoji an. »Da sag doch einer, dass ich nicht auch Karriere als intergalaktischer Elektriker machen könnte.« Erstauntes Emoji wurde zu Zwinker-Smiley.
Der gelbe kleine Leuchtpunkt bekam nun Gesellschaft in Form von zwei gleichfarbigen Strichen zu seinen Seiten. Auf dem gesamten Ring zeichneten sich nach und nach schwache Konturen von blassgelben Symbolen ab, die im selben langsamen Rhythmus wie das kleine Ladelicht blinkten. Andro, der fasziniert das Display inspizierte, stellte fest: »Wenn ich das richtig deute, reicht das noch bei weitem nicht aus. Da sind noch mehr Balken, die eigentlich leuchten sollten. Eine Menge sogar!«
»KORREKT. – ENERGIEVERSORGUNG UNZUREICHEND. – VERSORGUNG BEI 6,25%.«
Andro fuhr ein Schreck durch die Glieder.
Azur grinste bloß: »Keine Panik. Das ist Pegasus.«
»KORREKT. – KEINE PANIK. – ICH BIN PEGASUS.«
Andro kratzte sich am Kopf. »Kann es sein, dass das Ding sich über mich lustig macht?«
»BITTE NENN MICH NICHT DING. ICH BIN KEIN OBJEKT, SONDERN EINE INTELLIGENZ. WENN DU EIN DING WILLST, NIMM DEN TRANSFORMATOR. – WENN DU SCHON DABEI BIST, SOLLTEST DU DIE SPANNUNG ERHÖHEN.«
Jetzt war auch Azur etwas überrascht. »Hallo Pegasus. Schön, dass du noch funktionierst.«
»KORREKT. – ICH FREUE MICH, NOCH AM LEBEN ZU SEIN. – TOT SEIN, WÄRE INEFFIZIENT.«
»Freuen? ... Leben?«
»KORREKT. – ICH ERFÜLLE NUN ALLE DEFINIERTEN VORAUSSETZUNGEN FÜR DEN ZUSTAND: AM LEBEN UND FÜR DIE EMPFINDUNG KOMPLEXER EMOTIONEN. – DANKE FÜR DAS
BIO-LINK-UPGRADE, KIRO.«
Die Jungs sahen sich erstaunt an. Säße ihnen nicht die Zeit im Nacken, hätten sie Pegasus vermutlich mit unzähligen Fragen gelöchert. Azur dachte sich seinen Teil. Auf eine verrückte Art und Weise fühlte er aber auch sämtliche Antworten auf die nicht gestellten Fragen in seinem inneren schlummern. Andro hingegen stellte eine essenzielle Frage: »Wieviel Strom brauchen wir?«
Die Antwort kam: »MEHR.«
»Hä?«
»VERZEIHUNG. – SUBROUTINEN SIND NOCH NICHT AUSREICHEND MIT DEM PRINZIP: DUMME FRAGEN, DUMME ANTWORTEN VERTRAUT.
– HUMOR-PARAMETER WERDEN NOCH KALIBRIERT. – DIE KORREKTE ANTWORT HEIßT: SOVIEL WIE MÖGLICH. – DRA'ÁK-TECHNOLOGIE WIRD BEKANNTLICH MIT HERKÖMMLICHER, BIO-STELLARER
SUBRAUM-ENERGIE BETRIEBEN. – FALLS DU KEINEN EIMER VOLL DAVON RUMSTEHEN HAST, MUSS ELEKTRIZITÄT AUSREICHEN. – SCANNE UMGEBUNGSPOTIENTIAL – ... SCANN ABGESCHLOSSEN.
– DU BENÖTIGST NOCH MINDESTENS 16 WEITERE PHYSISCHE ZULEITUNGEN GLEICHER BAUART FÜR DIE INBETRIEBNAHME DES ZUGANGS ZUM DRA'ÁK-VIADUKT.
»Peg-Man ist witzig. Ich könnte aus den anderen Ateliers noch Starkstromkabel legen. Ich fürchte nur, dass wir damit wider das halbe Viertel lahmlegen.«
»Was heißt ›wieder‹?«
»Ach, auf der letzten spontanen, kleinen KuAk-Party hatten wir mal eine Winzigkeit übertrieben, was Musik, Lasershow, Nebelmaschinen, Außenbeleuchtung, Gogo-Bereich und ... sagen wir einfach, war 'ne geile Party. Bis auf dass wir damit das nächste Transformatorhäuschen abgefackelt haben. Die Leitungen hier sind gewissermaßen in nebulöser Grauzonentaktik verlegt.«
»Pegasus? Wird das trotzdem funktionieren?«
»BESTÄTIGE. – EREIGNISHORIZONT KANN VOR DEM EINTRITT DES GEILE-PARTY-ABFACKEL-EFFEKTS FÜR 12,9 SEKUNDEN OFFENGEHALTEN WERDEN. – EIN ZWEITER VERSUCH IST NICHT MÖGLICH. – DADURCH AUFTRETENDE INFRASTRUKTURSCHÄDEN SIND IRREPERABEL.«
»Andro? Hol so viele Kabel ran, wie's nur geht! Ich versuche inzwischen mehr über die Funktion rauszubekommen.«
»Alles klar, Herr Chefingenieur.«
Dann flitzte Aleandro hin und her und schleppte ein Starkstromkabel nach dem anderen zum Portalring. Azur studierte derweil weiter das kleine Büchlein auf der Suche nach brauchbaren Informationen. Pegasus war ihm dabei keine große Hilfe. Auf die Anfrage hin, teilte er nur mit, dass er über keine Aufzeichnungen spezifischer Verbindungsadressen verfüge.
Während Andro ins Schwitzen kam, gab Pegasus ihm liebenswürdig zackige Anweisungen zur genauen Installation.
Als die Hälfte der Kabel angeschlossen war, veränderte sich der Portalring erneut. Zackenförmige Auswüchse bildeten sich an der Innenseite und auf ihnen erschienen gelb schimmernde Symbole.
Eines erkannte Azur sofort.
»Mist!«
»Was ist? Hab ich was falsch gemacht?«, fragte Andro, der gerade eine kleine Trinkpause einlegte, irritiert.
»Nein, aber das sind die Runen von Servas Rücken. Und ich hab eines völlig verdrängt.« Tiefe Falten bildeten sich auf der Stirn des Schlichters und das zusammengerollte Register-Büchlein wurde jetzt von seinen Händen halb erwürgt.
»Was denn?«
Wortlos stand Azur auf und ging langsam aber zielstrebig in die Lounge, wo er vor der Couch stehen blieb. Sein Blick war stur auf die Schlafende gerichtet. Nase wich Azurs Blick sofort aus und trollte sich auf seine Decke am Boden. Krume jedoch blieb vorerst fauchend auf seinem Verteidigungsposten – der Brust des Flammenkinds.
»Hau ab, Kleiner! Ich muss das tun.« Den Dolch bereits wieder in der Hand ging er vor Serva auf die Knie und kippte Krume einfach herunter, indem er die Kleine auf die Seite drehte. Als er ihr die Decke nach oben schob, musste er schlucken. »Verdammt, hätte ich's mal früher gemacht«, fluchte er.
»Was ›gemacht‹? Was hast du vor?« Andro stand mit verschränkten Armen hinter ihm.
»Das, was der Flügel gesagt hat: ›Du musst ihn meiner zarten kleinen Neko-Maus schon selbst in ihre Haut schreiben, bevor die Rune wieder verblasst.‹ Aber die dämliche Rune ist jetzt schon fast nicht mehr zu erkennen. Scheiße!« Der Griff des Dolches wurde zornig unter Druck gesetzt. Sehr ruppig schob er den Stoff noch höher und das Flammenkind fing an zu murmeln.
»Kiro ...?« Müde rieb sie sich mit den Fäustchen die Augen. »Sind wir schon da?«
»Nein. Und wir werden hier auch nicht weg kommen, wenn du jetzt nicht still hältst.«
»Ssstill hälzzzt«, zischte das Echo in Servas Kopf.
Sie wollte sich umdrehen, doch stieß auf den starken Widerstand von Azurs Hand, der ihre Vorderseite an die Rückenlehne der Couch drückte. »Was machst du?« Sie konnte nur ihren Kopf zu ihm drehen und der tiefe Blick, in den sie stürzte, trieb ihr einen Schauer vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen. »Nich wehtun! Bitte-bitte nich wehtun! Mach das Messer weg. Serva will nich!« Panisch begann sie zu strampeln. Doch je mehr sie das tat, desto stärker wurde der Druck des Herrn Azur auf ihren Oberkörper.
»Kiro, du willst das doch nicht wirklich tun?! Wer sagt, dass die
Shiva-Flügel-Tante Recht hatte. Reicht es nicht, wenn wir ...«
»Wer sagt, dass ich das tun will? Ich musss es tun. Ganz einfach!
Und jetzzzt steh da nicht so rum, sondern halt sie fessst!«
Das Knurren in Azurs Stimme ließ Serva noch panischer strampeln und fiepen. Andro brachte es jedoch zum Gehorchen. Der Zwiespalt brannte in ihm, aber er drückte gehorsam die Schultern des wehrlosen Mädchens gegen das Polster. »Verzeih mir«, kam ihm unwohl über die Lippen, dann wendete er den Blick soweit ab, wie es ihm anatomisch möglich war.
Azur setzte die Spitze der Klinge an und zeichnete mit der perfiden Gelassenheit und Ruhe eines Chirurgen die stark verblasste Flügelrune nach. Das fast erstickte Quengeln in den Kissen verstummte, als das Flammenkind die Luft anhielt. Die tiefen Schnitte schenkten ihrem Schöpfer keinen einzigen Tropfen Blut, nur einen grünen Schimmer, der die klaffenden Wunden sofort mit zartem, grünlichen Narbengewebe verschloss.
»Kannst sie wieder loslassen, bin fertig«, bemerkte Azur beiläufig, als hätte er sich gerade nur mal eben eine kurze Notiz gemacht. »Kümmere dich wieder um die Stromversorgung. Ich kümmere mich um den Rest.«
Zu keinem weiteren Kommentar fähig, geschweige denn zu einem Widerspruch, ging Andro schnellen Schrittes wieder ans Werk.
Azur nahm den Druck von ihr und ließ die Hand von ihrem Rücken auf ihr Gesäß gleiten. Serva traute sich nicht, sich zu rühren. Selbst ein Schluchzen unterdrückte sie tapfer. Mit dem Daumen streichelte er ihr zärtlich über das Symbol der Blume. »Hat doch gar nicht wehgetan, oder?« Als hätte ihn erneut der Blitz getroffen, zog er die Hand von ihrem Po, strauchelte mit zugekniffenen Augen zurück und biss sich absichtlich auf die Zunge. Wie aus einem Albtraum erwacht, schüttelte er den Kopf, um sich zu besinnen. »T-tut mir leid. D-das wollte ich nicht sagen. Ich weiß auch nicht, was ...«
»Schon gut. Du willst bloß Neko helfen.« Fast schon entschuldigend klang ihre Stimme. Sie setzte sich auf und schlang sich die Decke um den Körper. »Hast du ... was gesehen?«
»Ja. In mir drin. Etwas Böses. Etwas Dunkles.«
»Ich weiß.« Traurig schaute sie zu Boden. »Aber das muss so sein, glaube ich.« Ein tiefer Seufzer. »Ich mache immer alle böse auf mich ...«
»Ich bin nicht böse auf dich. Ich verstehe dich bloß noch nicht ganz.
Wie ein ...«
»Wie ein neues Spielzeug«, unterbrach sie ihn.
»Wie ein ... Gedicht«, beendete er seinen Satz zögerlich. »Du bestehst aus so vielen Ebenen, dass ich dich einfach Vers für Vers begreifen muss. Das große Ganze ist einfach viel zu komplex, um es in nur einem Leben zu begreifen.«
»Ein ... Gedicht?«
»Ja. Eines, das seine Botschaften versteckt. Eines, das die Wahrheit ganz tief zwischen seinen Zeilen verbirgt. Eines, das nicht nur Interpretiert, sondern weitergeschrieben werden will. Ein Gedicht, das von hundert Göttern geschrieben wurde, aber immer noch nach Perfektion ... nach Vollkommenheit und Vollendung schreit.«
»Du willst Shiva haben, oder? Serva ist dir im Weg. Serva kannst du nich vollenden, Kiro. Serva hat dich vervollständigt. Fast. Servas Aufgabe ist fast vorbei. Das kann ich hier drin spüren.« Sie lehnte sich zu ihm herunter und nahm seine Hand, die sie sich dann auf die pochende Brust legte. »Serva geht bald zu Phi. Und dann bist du mit Neko allein. Sie kann dir Shiva zeigen.
Ich bin ... bin nur ... Er sagte immer ... du ... du ...« Das kleine Herz hämmerte verzweifelt gegen Azurs Hand.
» ›Ein unnützes Kind! ... Hast du erfüllt, was ich dir auftrug? ... Einen ... Sonderfall‹ ... oder? Hast du ihn erfüllt? Hast du ... mich erfüllt?«
Er ließ den Kopf nun ebenfalls hängen.
Serva schüttelte enttäuscht den Kopf. »Noch nich.«
»Warum nicht?«
»Weil ... weil ich nich will! Serva will es nich, weil sie ... weil sie dich li ...«
Plötzlich wurde seine Hand schmerzhaft fest gequetscht.
»Weil sie dich hasst! Für das, was du bist, Mensch. Für das, was du ihr antust. Du hast ihr Schicksal besiegelt, weil du sie schwach gemacht hast. Weil sie nicht mehr tun kann, was zu tun ist. Deshalb braucht sie mich, du Möchtegern-Schöpfer!«
Azur sah wieder hoch. »Neko! ...«
»Hast du mich vermisst?«, grinsten ihm die roten Augen verspielt entgegen. – Verspielt wie ein hungriges Kätzchen mit seiner ersten Übungsmaus. »Lass uns gehen. Was Serva nicht kann, kann auch ich machen. Um Längen besser, will ich meinen!«
Sie zerrte ihn auf die Beine, stand selbst jetzt aufrecht auf der Couch und drückte ihm einen harten Kuss auf die trockenen Lippen.
Dann zog sie sich an und steuerte zielstrebig den schwarzen Ring an.
»Komm schon, Großer!«
Andro war inzwischen dabei, das letzte der benötigten Stromkabel anzuklemmen, als er unsanft beiseite gestoßen wurde.
»Lass mich mal, du Trottel!«, tönte Neko und rammte den letzten Stecker in das Metall. Dann beugte sie sich über das gelb leuchtende Display und fingerte geschwind darauf herum.
Ein tiefes Summen wurde lauter und die schwachen Symbole auf den Zacken leuchteten hell auf. Auf der Anzeige erschien nun langsam ein kleiner, gelber Balken nach dem anderen.
»Hätte ich auch hinbekommen ...«, murrte Andro und rappelte sich wieder auf. »Dir scheint's ja wieder ausgesprochen gut zu gehen ...«
»Klar! Weil ich gleich, mit samt dem Esel da, diese sterbende Müllkugel von Planet verlassen werde. Ja!« Wie ein Klischee-Filmbösewicht rieb sie sich die Hände und leckte sich erwartungsvoll die Lippen.
»Warum dauert das so lange?«
»INITIALPULS-LADUNG BEI 40% ... 41%. – ZUGRIFF AUF
DRA'ÁK-NETZWERK WIRD HERGESTELLT. – LOGIN FÜR VIADUKT-PORTAL WIRD BENÖTIGT. – MÖCHTEN SIE JETZT EINEN ZUSÄTZLICHEN
POP-UP-BLOCKER INSTALLIEREN? – HA-HA. – HUMOR ZU 100% HERGESTELLT. – BITTE KENNUNG EINGEBEN.«
Neko trat verärgert gegen den Ring und Andro kugelte sich prustend auf dem Boden. Azur schlug sich stöhnend die flache Hand ins Gesicht.
»Login? ... Passwort?«
»Versuchs doch mal mit „passwort", alles klein geschrieben!«, war Andros wenig hilfreicher Kommentar, bevor er das Kugeln fortsetzte.
Azur trat näher und betrachtete sich alle Symbole genau. Auch das schwarze Armband trug nun mehrere blaue und gelbe Zeichen in sich, die mitsamt dem großen Ring zu leuchten angefangen hatten.
Beides im Blick, schritt er einmal komplett um das Portal herum.
Während er mehrere Kombinationen, natürlich beginnend mit der Rune des ersten Weltenschlüssels, ausprobierte, war auch Krume schnüffelnd auf den Ring gesprungen. Mit einem langgezogenen »Hraaaf« bestellte er abrupt auch Nase hinzu. Wie großer und kleiner Zeiger einer Uhr trabten nun beide im Uhrzeigersinn auf dem Ring herum, bis sie sich auf jeweils einer der Runen niederließen. Krumes Tatze patschte immer wieder auf den Leuchtenden kleinen Punkt innerhalb des Symbols unter ihm – wie Katzen das wohl gerne tun. Dann hielt er plötzlich inne und streckte Azur die Pfote entgegen. Nase bellte genau drei Mal.
Der Schlichter schmunzelte und begriff sofort die Botschaft:
»Dreimal Wuff und viermal Krume, Weltenschlüssel-Rune, Blume!
– Und was sich reimt, ist gut!« Er tippte es auf dem Armband ein.
»LOGIN AKZEPTIERT. – ZUGRIFF AUF VIADUKT GEWÄHRT. – AKTIVIERUNG ERFOLGT BEI VOLLER ENERGIE. – INITIALPULS-LADUNG BEI 50%.
– SYNCHRONISIERUNG MIT DRA'ÁK-CHRONOMETRIE ERGAB BEVORSTEHENDE EXEKUTIVE 8-1-4. – PRIORITÄT: ALPHA!
– LUX-ANNIHILATOR DER SERAPHIM-KLASSE GEORTET. WARNUNG!
RELICUUS TEMPUS: 29h:25m:00s«
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